Dokumentation in der Krise
In der Krise eines Unternehmens treffen verschiedene Obliegenheiten und Haftungsrisiken die Geschäftsleitung. Diese gelten auch für Interimsgeschäftsführer und faktische Geschäftsführer, die zwar nicht im Handelsregister eingetragen sind, jedoch die Geschäftsleitung nach innen und außen übernommen haben.
Die Geschäftsleitung hat ein System zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement zu etablieren sowie die zur Insolvenzantragspflichten führende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu überwachen.
Zahlungsfähigkeit
Die Frage der Zahlungsunfähigkeit kann durch einen stichtagsbezogenen Finanzstatus geprüft werden, bei dem liquide Mittel und fällige Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt werden. Decken die liquiden Mittel die fälligen Verbindlichkeiten zum Stichtag nicht, ist eine Liquiditätsplanung aufzustellen, um zu überprüfen, ob mindestens 90 % der fälligen Verbindlichkeiten innerhalb von drei Wochen erfüllt werden können. Ist dies der Fall, liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor. Andernfalls besteht unmittelbar die Pflicht zur Insolvenzantragstellung. Die Frist von drei Wochen darf nur ausgenutzt werden, sofern die realistische Chance auf eine Überwindung der Zahlungsunfähigkeit innerhalb der Frist besteht.
Überschuldung und positive Fortbestehensprognose
Die Prüfung der Überschuldung erfordert das Aufstellen einer Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten. Dies ist jedoch nicht erforderlich, wenn die Fortführung des Unternehmens in den jeweils nächsten zwölf Monaten überwiegend wahrscheinlich ist (positive Fortbestehensprognose). Die Fortführung des Unternehmens im Prognosezeitraum ist überwiegend wahrscheinlich, wenn mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % durchgehend Zahlungsfähigkeit bestehen wird. Die Frage der positiven Fortbestehensprognose erschöpft sich daher in einer langfristigen Zahlungsfähigkeitsprüfung mit einem geringerem Wahrscheinlichkeitsmaßstab als in der Drei-Wochen-Frist. Neben dem Cash-Flow aus dem operativen Geschäft sollten aufgrund des langen Prognosezeitraums bei der Überschuldung die wesentlichen Prämissen der Durchfinanzierung laufend dokumentiert werden. Dies können je nach Einzelfall bspw. Verhandlungen für eine Finanzierung oder Umfinanzierung, Verhandlungen über einen Investoreneinstieg, Stundungsverhandlungen, die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen per PMO oder der Verlauf eines M&A-Prozesses sein. Kommt es auf Sanierungsbeiträge Dritter an, reichen unverbindliche LOI oder Term-Sheets regelmäßig nicht aus. Die Prämissen der positiven Fortbestehensprognose sollten nach dem Milestone-Konzept einzeln erfasst und ihre jeweilige überwiegende Wahrscheinlichkeit regelmäßig durch die Geschäftsleitung bewertet werden. Auf diese Weise ist die Grundlage für eine Einschätzung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die positive Fortbestehensprognose detailliert dokumentiert. Für den Fall, dass ein Insolvenzantrag gestellt werden muss, hat die Geschäftsleitung die überwiegende Wahrscheinlichkeit bis zur Antragstellung darzulegen, um sich von einem etwaigen Vorwurf der mit erheblicher persönlicher Haftung und strafrechtlichen Konsequenzen verbundenen verspäteten Insolvenzantragstellung zu entlasten.
Krisenfrüherkennung
Die Erfassung der einzelnen wesentlichen Prämissen für die positive Fortbestehensprognose nach dem Milestone-Konzept bietet zudem eine Grundlage für das nach § 1 des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) geforderte Krisenfrüherkennungs- und Krisenmanagementsystem und kann die Voraussetzung dafür schaffen, zB eine Insolvenz in Eigenverwaltung als Fortsetzung der Sanierung mit anderen Mitteln zu erreichen. Hierzu sind das Monitoring und die Dokumentation der Entwicklung in dem für die drohende Zahlungsunfähigkeit definierten Prognosezeitraum der jeweils nächsten 24 Monaten notwendig. Im Rahmen der Dokumentation kann auch der Fortschritt und die Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen sowie das Krisenmanagement dokumentiert werden.
Auf diese Weise kommt die Geschäftsleitung ihren Obliegenheiten nach und schafft eine Dokumentation zur Vorbeugung bzw. Verteidigung gegen etwaige Haftungsansprüche.
Ihre Ansprechpartner
Alexander Reus
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Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Betriebswirt (VWA)
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Dr. Florian Harig
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